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2)íe Urríft
Von Dr. Karl KI emm
Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Státte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
WieWasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahrlang ins Ungewisse hinab.
In diesen Versen Holderlins wird, wie in jeder ecliten
Dichtung, Tiefstes ausgedrückt durch das Wort, das ur;
eigene Mittel des Dichters. Doch die sonderbare Zeilen;
stellung, die bereits in der Erstausgabe des ,,Hyperion
von 1799 so angeordnet ist, laBt uns aufmerken: Durch
ein typographisches, also optisches und damit undichterb
sebes Mittel wird die Sinngebung wirkungsvoll unter;
stützt und das Verstandnis der Dichtung wesentlich ge;
fordert. Die Tendenz des Fallenden, Scbwindenden ist
durch das Einrücken der Zeilen stark unterstrichen und
dem Lesenden unbewuBt zum Ausdruck gebracht.
Wir haben hier ein Beispiel vor uns, wie die Satzgestaltung
von innen heraus bestimmt ist und die Typographie zur
bescheidenenHelferin der D ichtung werden kannIn vielen
Fallen, aucb im vorliegenden, wird der Buchgestalter bzw.
Setzer, ais der Interpret des Dichters, nicht eigenmachtig
derartige Hilfsdienste leisten konnen, sondern nur die An¡
weisung des Autors beachten dürfen, aber es gibt doch
auch háufig genug Gelegenheiten, wo es in der Hand des
Typographen liegt, die Ausdruckstendenz durch seine
Mittel zu steigern oder, was vielleicht in der Praxis das
Wichtigere ist, die Tendenzen des Dichters durch falsch
angewandte Mittel nicht zu zerstoren. Denn gerade dies
ist eine Gefahr, die mancher Autor fürchtet, der deshalb
lieber auf derartige auBerdichterische Mittel verzichtet.
Das Prinzip, das der Ausdruckstendenz am meisten ent;
gegensteht, ist die ,,ásthetische Pratension", wie es Rainer
Maria Rilke bei Besprechung der typographischen Anord¡
nung eines Jugendwerkes einmal genannt hat. Das Formab
Ásthetische befindet sich im ewigen Kampf mit dem Aus;
druckswillen und fordert so eine Verstandigung zwischen
beiden Prinzipien heraus. Ein Beispiel moge das verdeut;
lichen: Man kónnte sich vorstellen, daB eine besonders
dramatische Stelle eines Romans oder ein Gedicht in
verschieden groBen Schriften und verschiedenartigen
Charakteren gesetzt ist, die ruhigen Stellen in Korpus,
Aufschreie in Tertia, dazwischen stark betonte Stellen
halbfett, stockend hervorgebrachte Worte werden durch
Lücken in der Zeile, Gespráchspausen durch groBe freie
Stellen im Satzspiegel ausgedrückt usw. Sicherlich wird
dieWirkung auf den Leser sehr stark sein, aber das Ganze
macht einen uneinheitlichen, haBlichen und unkünstlerb
schen Eindruck. Auf der anderen Seite kann die asthe;
tische Komponente durch vollstándig gleichmáBigen, vieh
leicht zu engen Satz, Wahí einer zwar künstlerischen, aber
vollig unpassenden Schrift und dergleichen so überbetont
sein, daB das Ganze eine Kühle und Unpersónlichkeit aus;
strahlt, die dem Werke nur zum Nachteil gereicht und
den GenuB desselben herabsetzt. Für uns gilt es deshalb,
diejenigen Mittel festzustellen, die den ásthetischen Ein;
druck in keiner Weise storen und doch, ihren Moglich;
keiten entsprechend, das Innere der Dichtung irgendwie
mit zum Ausdruck bringen. -Wir beginnen mit der Lyrik.
Die Wahl der Schrift ist eines der hauptsáchlichsten Ge;
biete, auf denen dem Buchgestalter eine Mitarbeit nach
der psychologischen Seite hin moglich ist. In der Schrift
klingen und schwingen Tone mit, die die inhaltlichen
Tendenzen der Dichtung symbolisieren und dem geistig;
seelischen Zentrum des Lesers auf irrationalem Wege
naherbringen. So vielgestaltig nun die Lyrik in ihrer
geistig;seelischen Einstellung ist, so reichhaltig muB auch
die Schriftpalette des Buchkünstlers sein - und ist es auch,
dank der Rührigkeit der deutschen GieBereien und der
vorzüglichen Leistungen unserer Schriftkünstler. Es gilt
vor allem, den Gehalt an gefühlsmáBigen und verstandes;
máBigen, an irrationalen und rationalen Elementen, die in
der Schrift stets vorhanden sind, mit denen der Dichtung
in Einklang zu bringen. Das sieht schwerer aus, ais es ist.
Der Buchgestalter, der sich doch stets in das von ihm be;
treute Werk einfühlen muB, wird schon rein gefühlsmaBig
diesen Weg beschreiten und dabei meist das Richtige
treffen. An Hand einiger Beispiele solí das Gesagte naher
erláutert werden
Volkslieder, Sturm;und;Drang;Lyrik, sowie sonstige irra;
tionale Dichtungen, also solche, die sich mehr an das Ge;
fühl ais an den Intellekt wenden, verlangen auch irrationale
Schriften. Wir haben gerade in den letzten Jahren einige
wunderschóne Sammlungen dieser Art in der „Claudius"
von Rudolf Koch zu sehen bekommen, die dies treffend
illustrieren; jeder Buchbeflissene wird sie kennen. Weitere
Druckschriften dieser Richtung sind die „Frühling", die