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Schriftgiesserei-Neuheiten.
El Li
oweit die neuzeitlichen Bestrebungen in dem Nachgehen
altertiimlicher Schriftformen ihr Ziel sehen, wird die
sogenannte Altgotische Schrift auf lange hinaus ihr
Feld behaupten, ja, sie wird sich wahrscheinlich ein-
biirgern fur immer, ahnlich wie der Schwabacher-
Charakter. Durch diese Schriftliebhaberei beriihren
sich die Gegensatze: "modern"' und "antik" in eigentumlicher
Weise. Eine altgotische Schrift wird mit gleichem Recht als
"modern" oder aber als "antik" bezeichnet, weil eben ein Teil
der neuzeitlichen Druckausstattung auf eine gewisse Nachbildung
des "Alten" abzielt. Die alten Schriftcharaktere haben sich um
so mehr eingeburgert, weil Amerika und England schon seit fiinf,
sechs Jahren die altertumelnde Ausstattungsweise zum Teil mit
modernen Mitteln in Papier, Druckart und Satzweise vermischte.
So hat man sich an die allerschwersten, bei den Altmeistern nur
fur weiche und gefeuchtete Hadernpapiere bestimmten Schriften
gewohnt und findet seit der Einfuhrung des Kunstdruckpapiers
auch keinen Anstoss daran, diese markig- willkiirlichen Schrift-
schnitte auf diese Kreidepapiere zu drucken. Der malerisch
freie, mit allerlei Zufailigkeiten arbeitende Schriftschnitt der Alt-
meister widerstrebt eigentlich dem verraterisch glatten indiskreten
Kunstdruckpapier. Oder ist es gerade ein schoner Gegensatz,
wenn ein malerisch freier, wie mit der Rohrfeder geschriebener
Schnitt auf einer spiegelblanken Papierflache steht? Ich mochte
hier vorsichtiger Weise diese Frage doch lieber als "offene"
hinstellen; denn es gefallt dem verehrten Publikum sowohl ein
solcher Druck auf rauhem Buttenpapier wie auf glattem Kunst
druckpapier. Die GegensStze beriihren sich, wenn sie eben nur
gross genug sind. Und man kann es als zwingende Notwendigkeit
bezeichnen, wenn z. B. Wilhelm Woellmers Schriftgiesserei in
Berlin ihre neue "Uncial-Gotisch" gleichzeitig in ein- und dem-
selben Satz einmal auf Buttenpapier und einmal auf Kunst-
druck vorfiihrt.
Auch auf dem Probenblatte, welches die Schriftgiesserei
Julius Klinkliardt in [Leipzig mit altgotischen Schriften in
diesem Hefte vorfiihrt, beriihren sich die geschilderten zwei
Begriffe. Unter dem Stichwort Moderne Schriften" wird eine
Antike Gotisch" vorgefiihrt, weiche natiirlich ebenso gut als
"Moderne Gotisch" bezeichnet sein konnte. Dasselbe Blatt zeigt
gleichzeitig den als "Britannia-Gotisch" iiberall eingefiihrten
schmalen altgotischen Schnitt. Mit beiden Schriften bietet die
Firma Klinkhardt dem Buchdrucker vorziiglich verwendbare
Schriften. Die Britannia - Gotisch hat in ihren schmalen, ge-
drangten Formen mehr das Absichtliche und Reklamenhafte
betont, wahrend die breitere Antike Gotisch in ihrer Ruhe
monumentaler wirkt. In die Accidenzsprache iibertragen heisst
das ungefahr: die Britannia fur den Kaufmann, die Antike Gotisch
fur den Kenner und Biicherfreund. Thatsachlich schliesst sich ja
auch die Antike Gotisch an alte, aus der besten Zeit italienischer
Druckkunst stammende Vorbilder an, die in England und Amerika
ebenfalls nachgebildet wurden. Beide Schriften liegen in den
Graden Nonpareille bis Sechscicero vor; die kleinern Grade der
Antiken Gotisch bilden zugleich eine eindrucksvolle Textschrift
fur Accidenzen wie fur Bucher.
Wilhelm Woellmers Schriftgiesserei in Berlin SW. hat
die Schriftart "Antike" Gotisch ebenfalls in den Vorrat ihrer
stilvollen Garnituren aufgenommen: es ist die schon eingangs
erwahnte "Uncial-Gotisch," deren einzelne Grade wir schon im
Marzheft vorfiihrten. Die Uncial-Gotisch schliesst sich eng an
die beruhmte -Mbm's'sche Type an, ihren Namen tragt sie der
Versalien wegen, weiche in friihgotischer abgerundeter" (Uncial-)
Form geschnitten sind und fast wie Antiqua wirken. Die Uncial-
Gotisch gehort dadurch und auch durch die einfache, ebenfalls
etwas rundliche Form ihrer Gemeinen zu den uberall anwend-
baren Schriften, sowohl fur moderne Accidenzen, wie auch als
Buchschrift. Die Schrift liegt in den Graden Nonpareille bis
Sechscicero vor.
Wilhelm Woellmers Schriftgiesserei legt uns iibrigens noch
eine Anzahl weiterer Blatter vor. Da ist zunachst ein fiinffarbiges
Doppelblatt der schmalen Gotisch "Fette Globus," die in alien
Graden bis acht Cicero hinauf geschnitten wurde. Neben der
schon besprochenen "Eilschrift" (Handschrift-Type) linden wir
dann noch weiter ein Gesamtblatt der eleganten Schreibschrift
"Selecta," die jetzt auch in Russisch fertiggestellt ist. Zu der
Spezialitat der Firma "Barock-Ornamente" sind ebenfalls neue
Serien (No. 7 und 8), fur Halbpetit fette und Petit fette Barock-
Linien hinzugekommen, so dass Woellmer hierin die grosste
Auswahl bietet.
Auf zwei besondern Beilagen fiihrt ferner Wilhelm Woellmers
Schriftgiesserei die samtlichen Grade ihrer "Schmalen runden
Grotesk" vor, einem Originalschnitt, der tadellos, ja vollendet
bezeichnet werden muss. Diese Grotesk, die bereits gut ein-
gefuhrt ist, reprasentiert einen jener Charaktere, weiche immer
modern bleiben werden; das Gute und Zweckmassige reprasentiert
eben zugleich auch das Dauernde. Die Schmale runde Grotesk
bildet eine ausserordentlich ausgiebige Anzeigen- und Reklamen-
Schrift; sowohl in den Gemeinen, wie bei Versalzeilen ist ihr
Exterieur dabei ein ausserordentlich vornehmes. Und ohne
Schmale runde Grotesk geht es halt nimmer, in keiner Druckerei
wird sie gern entbehrt. Man vergesse solche bewahrte Schrift
nicht iiber all den "modernen" Sachen!
Schriftgiesserei Iaitlwig Mayer in Frankfurt a. M.
Auch dieses Haus bringt seinen Beitrag zu der Handschriften-
Liebhaberei: ein Folioblatt fiihrt eine hubsche Handschrift-Type
auf Tertiakegel vor. Gleichzeitig aber bringt dieses Blatt eine
nette Reminiszenz fur das, was wir "Mode" nennen! Es zeigt
drei Grade einer andern "Handschrift-Type," weiche sehr ruhig
und fliissig wirkt aber unsrer Meinung nach schon vor rund
fiinfzehn Jahren erschienen ist! Damals war es iibrigens den
"Handschriften" nicht gelungen, einen grossern Liebhaberkreis
zu finden; Rundschrift und die damals besonders gepflegten
"englischen Schreib-" und "Korrespondenz-Schriften" absorbierten
das allgemeine Interesse.
Schriftgiesserei J. John Sohne in Hamburg. Zu den gut
eingefiihrten zwei Serien des "Typographischen Motivenschatzes"
kommt nunmehr die Dritte Folge, deren moderne Figuren in
einem uns eingesandten zwolf Blatt starken Anwendungsheft
vorgefiihrt werden. Der Motivenschatz will bekanntlich dem
Accidenzsetzer dadurch entgegenkommen, dass er moglichst
"fertige" Ziermotive darbietet, so dass das umstandliche Aus-
bauen mit Linien moglichst eingeschrSnkt wird. Die vorliegende
Dritte Folge strebt diesem Ziele wiederum geschickt nach; sie
bietet etwa fiinfzig gegossene und einige dreissig grossere, gal-
vanisch reproduzierte Ziermotive in lichter, moderner Zeichnung.
Es sind in der Hauptsache stark stilisierte Chrysanthemum-
Bliitenteile, die oft muschelartig ausgearbeitet und "modern
barock" gehalten. Auch reizende Fiinfblatt-Borden sind darunter.
Die schonen Anwendungen zeigen zugleich neue Schriften der
Hamburger Firma in anregen der Weise.
B. Georgi in Offenbach a. M. Diese graphische Kunst-
anstalt, weiche Stempelschneiderei, Gravieranstalt und Galvano-
plastik umfasst, sendet uns drei grosse Doppelbiatter mit modernen
Zweig- und Rankenvignetten, ferner drei Blatter mit allerlei
drolligen Amoretten-Zieraten, letztere teils aus schwarzen Fonds
effektvoll herausgehoben. Die Pflanzenvignetten umfassen frei
rankende Motive, ferner Eck-, Initial- und Zeilenverzierungen aller
Art, und sind sauber im Schnitt ausgefiihrt. Die Amoretten
werden fur Drucksachen heitern Genres recht willkommen sein.