GRAPHISCHE FEIERSTUNDEN
einem Abbruck bieser Zeitung erfahren wir, baG
bie Morber Merten FarkaG unb Paul Wasansky
hieGen unb am 1. Marz 1570 ihre Morbtaten ge-
stanben. Im nachsten Jahr erschien bei Georg
Schwartz in ber Altstabt „Ein gar Grausam vnb
Erschrockliche Gesicht, welches gesehen ist worben
in ber Hauptstabt Prag", von bem balb barauf eine
Neuauflage in Prag unb ein Nachbruck von bieser
in Ulm herauskam.
Eine schauerliche Tat, „so sich begeben zu
DiirGenreit (nach einem Nachbruck: Dirschenreyt
(bei Eger]) am 6. Junij 1573" veroffentlichte Hans
Burger in Eger. Sie melbet von einem „ungeratnen
Ehrlosen BoGwicht", ber ein Mabchen vergewaltigen
wollte unb bie sich Wehrenbe „zu stucken gehawen"
hat (Zurich, Stabtbibliothek). Diese Zeitung ist
bemerkenswert, weil sie unter jenen aus Bohmen
zuerst bie Liebweise angibt. Am Enbe ber Uber-
schrift heiGt es „im Thon: es wonet lieb bey liebe
ober: Wie man ben Lorentzen singt".
Die Ruckkehr zum Bankelsangerlieb, bas meist
nach einer ober mehreren bekannten Melobien
gesungen wurbe, wahlte man, um ben Zeitungen
groGe Verbreitung im Volke zu sichern. Freitich
bebingte biese Form allerlei Zutaten, bie, ohne
journalistisch unb politisch zu sein, ben eigentlichen
Inhalt bieser „Fliegenben Blatter", wie man sie
nannte, iiberwucherten. Beispiele bafiir haben wir
aus Neuhaus( 1573), aus Commatawbas ist Komofau
(1574), aus Leitomischel (1574), aus bem „Stettlein
Hohen-Elbe" (1579), aus Alten Knin, „vier Meil
von Prag gelegen" (1580), aus bem Dorf Olschnitz
bei Nachob (1591) unb insbesonbere aus Prag selbst.
Die genauen Angaben vieler Einzelheiten sichern
biesen Blattern einen geschichtlichen Wert. Sinb
sie boch fast bie einzigen, wenn auch selten kritischen
Beobachter ber auf bie Sensationsgier ber Menschen
berechneten Ereignisse. Mehr als interessant sinb
z. B. bie Relationen von „Keiser Carls Bab, wie
basselbe ben neunbten Mayen biss 1582. Jars
burch eine zuvor unerhorte Wassersnoth jamerlich
ist beschabiget worben". Nach einem bieser Berichte
wurben bamals auGer Karlsbalb auch „Schonwerb,
Schlackenwalb vnb Elbogen" von ber Uberschwem-
mung heimgesucht, mehr als breiGig Hauser zerstort
unb iiber hunbert Menschen getotet, barunter zwei
Kinblein in ber Wiege, von benen bas eine „8 groGe
Meil wegesbiGansDorff Libitzen'verschleppt wurbe.
Die Tiirkenkriege in Ungarn verhalfen auch in
Bohmen ben Zeitungen zu neuem Aufschwung. In
flotter Weise besangen sie bie Erfolge ber kaiser-
lichen Armeen, flatterten in groGer Menge iiber
ganz Europa mit ber Kunbe von ben Einfallen ber
Osmanen unb von ben Unternehmungen ber Heere.
Damals wurbe Prag gemaG seiner hohen poli-
tischen Bebeutung ber erste Ausgangspunkt solcher
Zeitungen, von benen sich aus ber zweiten Halfte
bes 16. Jahrhunberts eine betrachtliche Menge er-
halten hat. Einige Prager Drucker beherrschten
nunmehr fast ausschlieGlich ben Zeitungsmarkt,
obwohl sie bas Vorrecht, Neuigkeiten burch ben
Druck zu verbreiten, nicht ausnahmslos besaGen.
Seit 1575 gab Michael Peterle „auff ber Newstatt"
solche Relationen heraus, bie nach einer kaiserlichen
Bestimmung „in keinerlei weis weber groG noch
klein zu imitirn noch nachzuahmen unb brucken"
erlaubt war. Burian Walba „inn ber Alten Statt",
ber auch Zeitungen „aus ber Behemischen sprach
ins Deutsch" iibersetzte, gab seit 1580 bie neuesten
Nachrichten vom Kriegsschauplatz heraus, bie
bie allgemeine Aufmerksamkeit erregten. Beibe
Zeitungsverleger muGten um 1585 bem tiichtigeren
Hans Schuman in ber Altstabt ben Platz raumen.
Seine zahlreichen Zeitungen aus Ungarn wurben
in Deutschlanb vielfach nachgebruckt, weil sie immer
bie neuesten unb zuverlassigsten Nachrichten
brachten. Gegen bas Jahrhunbertenbe mag er ge-
storben ober aus Prag verzogen sein, ba seit 1595
Thomas Schneiber in ber Altstabt unb Nikolaus
StrauG, „wonhafftig in ber Karpen gaG", mit ihren
Zeitungen auf ben Plan traten. Auch ber tschechische
Drucker Johann Tolotzqui hat gelegentlich beutsche
Zeitungen herausgegeben, wie jene vom Tiirken-
krieg aus bem Jahre 1595.
Als sich bie Ereignisse zu uberstiirzen begannen,
tauchten Zeitungen mit mehr als einer Nachricht auf.
Die erste, bie zwei Berichte einen aus Mahren,
ben anbern aus Kuttenberg brachte, gehort noch
ins Jahr 1570 (Breslau, Universitatsbibliothek).
Im Jahre 1583 finben wir eine „Dreyerley Zeytung"
(Niirnberg, Germanisches Museum), bie nach Art
eines Tagebuchs verschiebene Naturereignisse aus
Prag vom 16. Janner bis 17. Feber 1581 behanbelt.
Eine„Funfferley Warhafftige NeweZeytung"(1585),
bie vier Kriegsberichte aus Ungarn unb einen iiber
eine Schlacht in Frankreich bringt, befinbet sich zu
Munchen in ber Hof- unb Staatsbibliothek. Diese
Bucherei verwahrt auch eine „Fiinffte unb Sechste
gute Newe Zeitung aus Ungarn" (1594), bie wohl
in schneller Folge als Fortsetzung zu vier anbern,
verloren gegangenen Zeitungen erschienen war.
Nachrichten, bie zum erstenmal unter bas Volk
kamen, hieGen schon im Titel „Gar newe Zeitungen",
wie jene, bie „Von bes Fribes Hanblung zwischen
bem Romischen unb Tiirkischen Keyser, so ben
7. Octobris unfruchtbar abgangen unb von ber
Moschowiterischen Botschaft, so zu Pilsen am
lO.Octobris gehoret", melbet. Laut Angabeerschien
biese Zeitung am 3. November 1599, so baG immer-
hin zwischen ben Ereignissen fast ein Monat lag.
Wir sehen immer wieber, baG biese Zeitungen
niemals mehr sein wollten als biirftige, aller-
objektivsteBerichterstattungen. Nicht einmalfinbet
sich bie leiseste Spur einer tenbenziosen Farbung,
immer werben niichtern unb trocken nur solche
Begebenheiten verzeichnet, bie auf bie Gemiiter
besonbers einwirken muGten. Unberiicksichtigt
blieben im Rahmen bieser Schilberung bie so-
genannten „Fuggerzeifungen", unter benen es sehr
viele aus Bohmen unb Prag von etwa 1560 bis 1605
gibt. Doch sinb sie nicht gebruckt, sonbern ge-
schrieben unb in einigen Jahrgangen (z. B. 1578
bis 1590) namentlich viele Prager Zeitungen in
italienischer Sprache verfaGt.
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