GRAPHISCHE FEIERSTUNDEN
Eine SpritzfatL]
i nach Europa
Dez. 1923
219
(Vergleiche „Buch- und
Unterhaltenb, belehrenb unb lustig schreibt Edmund
G. Gress fiber seine Fahrten, Beobaditungen
unb Wahrnehmungen in Frankreidi, Italien, Belgien
unb Englanb. Die einfadie, naturliche unb behag-
liche Sprache, in ber ber Verfasser seine Einbrficke
wiebergibt, ist es, bie bem Buck Eigenart unb
Reiz verleiht. DaB Gress abgesehen von bem
kleinen Ort Rothau im ElsaB, von bem seine Vorfahren
vor iiber 100 Jahren nach Amerika auswanberten
beutsdies Lanb nicht besudite, miissen wir bebauern,
ba in seinen Urteilen oft eine hohe Meinung von
beutscher Arbeit zum Durchbruch kommt. Das Buch
enthalt wohl viel Typographisches, ist aber nicht ein-
seitig fiir Fachleute geschrieben unb wirb baher
niemanb enttauschen.
In Frankreich fing bie Runbreise an, unb einer
ber ersten Besuche gait ber Pariser Staatsbruckerei.
Gress schreibt bariiber: „Das Gebaube wurbe im
Jahre 1712 errichtet unb war einst bie Resibenz bes
Karbinals be Rohan, in ber Rue be la Convention
wirb ein Neubau errichtet unb bas Inventar allmahlich
borthin iibergefuhrt. Als ber Direktor von meinem
Interesse fiir bie Buchbruckerkunst horte, lieB er bie
Sdilussel zu ben Raumen holen, in benen bie
beriihmten alten Stahlstempel unb Matrizen auf-
bewahrt werben. Inschriften iiber ben Tiiren geben
an, welche Schriften sich in bem betreffenben Zimmer
befinben. Mit Ehrfurcht ergriff ich bie Jahrhunberte
alten Stempel unb Matrizen von Garamonb unb
Granbjean. Garamonb, Teilhaber von Geofroy Tory,
entwarf griechische, lateinische unb Kursivschriften,
bie von Estienne, Plantin unb anbern beriihmien
Buchbruckern jener Zeit unb von ber Pariser Staats
bruckerei fiir bas erste im Jahre 1640 bort gebruckte
Buch verwenbet wurben, bis bie neueren Schnitte
von Granbjean um bas Jahr 1700 sie ersetzten. Ein
Merkmal bieser Schrift, woran auch ber Laie sie leicht
erkennen kann, ist ber kleine Punkt an ber Mitte ber
linken Seite bes Gemeinen 1".
Ein kleiner Vorfall im Louvre gibt Gress, ber zu
unserm Bebauern bas Ruhrgebiet nicht besudite, zu
folgenber treffenben Bemerkung Veranlassung:
„Ich sah Napoleons Krone in Form ber Karls bes
GroBen, aber ohne bie Ebelsteine. Sie waren ent-
fernt worben, als ber Feinb 1871 in Paris war so
sagte wenigstens ber Fiihrer. In jebem Lanbe klagen
bie Museumsbiener iiber Diebstahle aus ben Museen
in Kriegszeiten, iibersehen aber babei, baB viele ber
interessantesten Gegenstanbe in ben meisten Museen
gewaltsam wahrenb eines Krieges borthin gebracht
wurben."
Ein zwiefaches MiBgeschick hatte Gress beim Besuch
ber Pariser Staatsbibliothek. Sie ist nur an einigen
Tagen in ber Wodie ober sogar im Monat geoffnet,
so baB es ihm nicht moglich war, sie zu besichtigen.
Mit Recht war er bariiber verstimmt, baB ein solches
Institut nicht an jebem Tage fiir Frembe zuganglich
ist. Vor ber Bibliothek stehen vier Figuren, bie ben
Buchbruck, bie Kalligraphie, ben Kupferstich unb bie
Pragekunst verkorpern. Einen bort Ansichtskarten
verkaufenben Angestellten fragte er, ob Darstellungen
bieser Statuen vorhanben seien. Als ber Diener bies
verneinte unb Gress barauf um bie Erlaubnis bat, bie
Figur ber Buchbruckerkunst zu photographieren, wurbe
es ihm kurz verweigert. Betroffen unb argerlich ver-
lieB er ben Platz.
SteindruckerSeite 5)
Die amerikanische Kultur ist jung man muB sich
immer vergegenwartigen, baB Amerika im Jahre 1492
entbeckt wurbe baher empfinbet ber Amerikaner
angesichts ber Altertiimer Italiens noch eine groBere
Ehrfurdit als wir; benn mit Jahrtausenb alten Gebauben,
z. B. bem Kolner Dom, konnen audi wir bienen. Die
Trajanssaule in Rom ist wegen ber beriihmten Insdirift,
bem Urbilb ber Antiqua, meist erstes Ziel ber borthin
wallfahrenben Buchbrucker. Audi Gress macht keine
Ausnahme. Bewunbern muB man stets wieber, wie
sich biese wohl 1800 Jahre alten Versalien jung erhalten
haben unb heute im besten Sinne mobern sinb.
In Florenz war internationale Biichermesse. Es
erfreut, bas folgenbe Urteil fiber bie beutsche Ab-
teilung zu horen: „Deutsdilanb hat in seiner ge-
schickten unb zielbewuBten Art eine sehr groBe Aus-
stellung zusammengebradit. In ber Anorbnung war
alles sorgfaltig erwogen unb Satz, Ornamentierung
unb Illustrierung ber ausgestellten Bficher ausnahmslos
von hoher Vollenbung."
Zwei Miniaturbficher kaufte Gress hier. Das
kleinere, etwa 12:17 mm im Format, mit bem Titel:
Galileo a Mabama Cristina bi Lorena soli bas kleinste
je in Schriftsatz hergestellte Buch sein. Die Zwei-
punktschrift wurbe im Jahre 1834 von Antonio Farina
geschnitten, aber erst im Jahre 1878 verwenbet, als
bie Firma Gebruber Salmin in Pabua ein Dantebudi
baraus bruckte. Die bamit betrauten Setzer unb Kor-
rektoren sollen sich babei bie Augen verborben haben.
Einen Monat bauerte es, 30 Seiten fertigzustellen.
Das auf bem Ausstellungsgelanbe eingenommene
Mittagsmahl befriebigte Gress nicht, er bemerkt bazu
lakonisch, baB er schon schlechter gegessen hatte,
aber nicht oft.
In ber Biblioteca Nazionale Marciana in Venebig sah
er eine Hanbschrift bes Dichters Petrarca, jebodi nicht
mit schrag liegenben, sonbern mit senkrecht stehenben
Buchstaben. Seine Meinung ist, baB alle biejenigen,
bie glauben, bie erste Kursivschrift, wie sie Albus
Manutius herausbradite, sei eine Nadiahmung ber
Hanbschrift Petrarcas, bieser Feststellung Beachtung
schenken sollten.
Am wohlsten ffihlte sich Gress aber boch in Englanb,
schon wegen ber gleichen Sprache, auch scheint hier
sein Bekanntenkreis ungleich grofier zu sein als in
ben anbern Lanbern.
Beim Besuch ber County Council School of Arts anb
Crafts, bie man mit ber Berliner Unterrichtsanstalt am
Kunstgewerbemuseum vergleichen konnte, machte ihn
ber Direktor auf einen Vorgang aufmerksam als Zeidien
fur bie internationale Bebeutung ber Schule. Eine
graphische Lehrwerkstatte in Deutschlanb schidcte zu
ihnen eine junge Dame mit bem Hauptzweck, bas
humanistisdie Schreiben mit ber Gansekielfeber zu
erlernen, bas von Ebwarb Johnston bort vorzfiglich
gelehrt wirb. Die junge Dame kehrte nach Deutschlanb
zurfick, unb jetzt konnte man biese Schreibart bort
auf manch einer schonen graphisdien Arbeit angewenbet
sehen; sie spiegele sich audi in Schriftschnitten beutscher
SdiriftgieBereien wieber.
In ber berfihmten alten Universitatsbuchbruckerei von
Oxforb besichtigte Gress bie oft genannten Original-
stempel unb Matrizen, bie Dr. Fell im Jahre 1667 in Hol-
lanb hatte kaufen lassen. Es besteht wohl kein Zweifel,
baB bie Hollanber froh waren, biese Schriften vorteilhaft
abzustoBen, ba sie Schonheitswerte nicht besitzen.