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aus der Anschauung, als Amateure ihre ersten,
schreiend bunten Diapositive auf die Wand proji-
zierten, und hastige Geschaftsleute sich des neuen
„Schlagers" bemachtigten, um übereilte Resultate
der Farbenphotographie zur Schau zu stellen, die
weder technisch noch geschmacklich den berechtigten
Anforderungen an ein farbiges Bild genügen
konnten. Der Start war ungünstig. Seine Uber-
hastung wollen wir nicht entschuldigen. Aber wir
mochten versuchen, sie zu erklaren. Farbe ist ein
erregendes Element, ein Element der Freude. Als
der Farbenfilm für die Kleinbiidkamera in den Han
del kam, stürzte man sich darauf, wie der Hungrige
auf die Speise. Nun endlich würde man ihn so
photographieren können, wie er wirklich war, den
blauen Himmel und die grüne Wiese darunter. Das
Ergebnis war ein grüner Klecks mit einem blauen
Loch darüber.
Die Farbenphotographie ist zwar nicht Malerei, und
das ist eine wichtige Einsicht, die zu gewinnen bleibt,
wahrend wir umgekehrt wohl wissen, daft Malerei,
die wie Photographie aussieht, im Bereich der Kunst
nichts zu schaffen hat. Vorlaufig pladieren wir da-
für, Nachsicht zu üben. Lassen wir die Freude an
der Wiederentdeckung der Farbe sich austoben.
Der Uberschwang wird verebben, die Einsicht kom
men, die Disziplin sich einstellen. Und auch der
Farbensinn. Wir werden bei den Malern in die
Schule gehen müssen, nicht um sie nachzuahmen,
sondern um zu erfahren, wie die Gesetze beschaffen
sind, nach denen sich ein Bild gestaltet, wie die
Farbverteilung aussehen mufi, wie das Leitmotiv
widerklingt und ausklingt, wie die Beschrankung den
Meister macht. Wir werden dann, durch die Museen
gehend, einen Rubens nicht mehr deshalb bewun-
dern, weil er ein Rubens ist, sondern den Rubens
im Rubens, den Herrn der Farbe. Und dann wer
den wir auf zahllose Motive „nach der Natur" zu-
gunsten des Malers verzichten, der mit seinen Mit-
teln die störenden Farbelemente übergehen, die be-
glückenden betonen und verknüpfen kann, was der
„naturwahren" Farbenphotographie aus Gründen
ihrer Technik nicht möglich ist, will sie nicht das
eigene Handwerk verfalschen und ins Kolorieren ab-
fallen. Denn die Farbenphotographie soli und will
nicht „kolorierte" Photographie sein, sondern das
Wunder ihrer Technik in adaquatem Sinn benützen.
Sie wird mit gröftter Umsicht ihr Aufnahmeobjekt
auswahlen oder zusammenstellen, wird das Spiel
des Lichts mit der Farbe genauestens beachten, den
bildgemaften Ausschnitt mit der Wahl des Standorts
in Einklang bringen und nie vergessen, worauf allein
es ankommt: auf das Farbengebilde, das wohlgebil-
dete Gebilde aus zusammenklingenden Farben, auf
eine Melodie.
Die Schwarz-Weift-Photographie kann uns dabei
nur wenig lehren, denn sie ist kein Farbgebilde, son
dern, gleich den Produkten der Graphik, ein Licht-
gebilde. Und das ist etwas Grundverschiedenes.
(„Grundregeln", die das Aufkommen der Schwarz-
Weift-Photographie begleiteten und die da etwa
lehren: Vermeidung von Schatten, gleichmaflige
Scharfe, vieles und ungestuftes Licht Regeln, die
jetzt bei der jungen Farbenphotographie ihre Auf-
erstehung feiern, sind allerdings zu verwerfen. Die
Entwicklung künstlerischer Photographie beginnt mit
den Verstoften gegen solche durch nichts gerecht-
fertigte Pedanterien.) So wie es Motive gibt, die
aus Gründen des Materials für die eine oder andere
Technik sich eignen oder nicht eignen: Motive für
Holz, andere fürMarmor, andere für Bronze, andere
für Farben (und hier wieder solche für ölfarben
einerseits, Pastell- oder Aquarellfarben andererseits),
so gibt es Motive, die der Schwarz-Weifl-Photo-
graphie hervorragend, der Farbenphotographie gar
nicht anstehen, und umgekehrt. Daft viele „male-
rische" Motive für die Farbenphotographie nicht in
Frage kommen können, suchten wir zu erklaren.
Und es steht fest, daft die Farbenphotographie ihren
ganz bestimmten Weg und ihren eigenen Stil finden
wird, sobald der ungemeisterte erste Farbenrausch
überstanden sein und man sich auf die asthetischen
Voraussetzungen besonnen haben wird.
Aber auch auf die handwerklichen. Photographie
ist ein Handwerk, so wie die bildenden Künste Hand
werk sind und sogar, in deren besten Zeiten, in
allererster Linie waren. Nun, die Künstler früherer
Zeiten beherrschten ihr Material, sie nahmen Auf-
trage entgegen, sie lieften sich durch Vorschriften,
die daran geknüpft waren, keineswegs aus der
Fassung bringen, sondern meisterten sie, und wenn
sie ihre Handwerksarbeit meisterlich getan hatten,
so war Kunst entstanden, ohne Anspruch, Eitelkeit
und Selbstüberhebung, ohne daft man hatte „Künst
ler" sein wollen, da man doch etwas viel Konkrete-
res war: Meister.
Diese Meister waren verwurzelt in der Gemeinschaft
ihrer Stadt und ihres Landes, ihre Werke entstanden
vor aller Augen, sie wurden öffentlich aufgestellt,
jeder nahm daran teil, jeder sprach, diskurierte dar
über, und niemandem war die Kunst fremd oder gar
ein unzuganglicher Luxus der „Gebildeten". Jeder
war materialkundig, die Themata, die behandelt
wurden, lagen jedem am Herzen, die Mittel zur
Darstellung waren jedem vertraut. Nun, wenn wir
sagten, daft heute fast alle Welt photographiert
oder sich doch, aktiv und passiv, mit dem Lichtbild
beschaftigt, so findet die Farbenphotographie einen
aufgelockerten Boden vor, einen Boden, der be-
reitet ist, daft Meister auf ihm stehen und verstanden
werden können. Meister, die nicht abstrakte oder
geheimnisvolle Dinge betreiben, sondern, allen zu-
ganglich, Freude bringen und Bewegtheit in ein
Leben, das dem edelsten Sinn, dem Auge, so wenig
mehr von dem geboten hatte, was doch sein Ent-
zücken ist und wieder werden soil: Farbe.