Oberstudiendirektor Paul Renner von der Meisterschule fur Deutschlands Buchdrucker in Miinchen
FUTURA Schlagzeile
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Kreise sie als typisch deutsches Ausdrucksmittel betrachten. Zwar ist nach Art und Entstehung kein Grund ersichtlich; doch
spielen hier, wie bei der Groteskverwendung, wirtschaftliche, politische, weltanschaulidie Dinge entscheidend mit. Auch hier
liegt es beim Typographen, Fraktur nur da anzuwenden, wo „zwingende" Griinde vorliegen, oder wo der Besteller es aus-
driicklich fordert. Manche Leute werden sich die sogenannten Schonheiten der deutschen Schrift nicht entgehen lassen
wollen. Nun, ja! Dariiber besteht beim modernen, besonders beim jungen Menschen, kein Zweifel, daft die Fraktur nicht zu
uns passen will, wenn sie auch noch so „liebliche Reize" hat. Also: Die Fraktur-Anschwellung wird nicht von langer
Dauer sein; im Gegenteil: die kommende Zeit wird besonders auch mehr Biicher und Zeitungen in der Weltletter bringen.
Wir Buchdrucker und unsere Organisationen sollten auch hier viel, viel mehr Wegbereiter der Zukunft sein.
I. Schon die erste der vier Fragen ist gar nicht so einfach zu beantworten, wie es einem arglosen Leser auf den ersten Blick
scheinen mag. Denn was ware damit gesagt, wenn man sie mitja beantworten wiirde? Hatte man sich damit wirklich zu
der Auffassung bekannt, daft die „sachliche typographische Gestaltung zum Stillstand" gekommen sei? Was zum Stillstand
gekommen ist, macht keinen Fortschritt mehr. Das kannrechtverschiedeneBedeutungen und Griinde haben.Zuweilen ist man
ganz froh dariiber, wenn etwas wirklich zum Stillstand kommt, also stabilisiert wird, zumBeispiel imjahre 1923 die Wahrung.
Wenn sich etwas wirklich bewahrt hat, braucht man es nicht zu verandern; man ist froh, wenn es in demselben Zustand
verharrt. Dieser Stillstand, diese Unveranderlichkeit kann aber auch ein schlechtes Zeichen sein. Vollkommenheit, Vollendung
ist auf dieser Welt nicht eigentlich zu Hause, und wenn in dieser unvollkommenen Welt etwas stillsteht und sich nicht mehr
verandert, dann bedeutet das fur gewohnlich ein Absterben, ein Unterliegen. Wer rastet, derrostet, heiftt es im Sprichwort.
Wer vom Angriff zum Stellungskrieg iibergeht, hat den Krieg verloren. Wer stehen bleibt, hat gewohnlich das Rennen auf-
gegeben. Wenn wir uns aber die moderne Typographic einmal ansehen, so kann man sich eigentlich nicht iiber Stillstand
beklagen, sondern eher iiber ein allzu heftiges Tempo der Entwicklung. Ja, es scheint so, als ob Sie in Ihren Fragen der
Besorgnis Ausdruck geben wollten, daft wir mit einem allzu ziellosen Dahinstiirmen den Boden verlieren konnten, den wir
in den letzten Jahren gewonnen hatten; vielleicht auch, daft die sachlichen typographischen Gestalter heute auf der Strecke
geblieben waren und das Feld anderen, weniger sachlichen Konkurrenten iiberlassen hatten. Ganz unbegrtindet scheint
mir diese Besorgnis nicht zu sein. Zweifellos ist im Namen der Sachlichkeit in den letzten fiinf Jahren viel gesiindigt worden.
Phantasielosigkeit und Mangel an kiinstlerischer Begabung hat sich im Zeichen dieser Sachlichkeit manchmal recht iiberlegen
gebardet. Aber wieviel straffe Disziplin, wieviel Sorgfalt und Exaktheit in der Verwendung der reinen typographischen Mittel
Wieviel edle Niichternheit ist doch durch die sachliche typographische Gestaltung wieder zu Ehren gekommen! Es ware
wirklich ein Jammer, wenn die Teufelssaat ungeziigelter Phantasie, die man nicht nur bei Begabten, sondern erst recht bei
Unbegabten findet, nun wieder wie Unkraut in dem noch gar nicht so griindlich gejateten Garten zu wuchern begonne!
Jedenfalls kann, glaube ich, von Stillstand in der heutigen Typographic nicht die Rede sein. Bei ihren besten Vertretern sehe
ich einen ruhigen, unbeirrten Fortschritt und eine immer klarer werdende Einsicht in das Wesen sachlicher Typographic.
Das iiberstiirzte Hin und Her der Wirrkopfe hat es zu alien Zeiten gegeben, und warum sollte es unter den Typographen
weniger problematische Naturen geben als in anderen Berufen? Diese werden immer den einfachen Aufgaben aus dem
Wege gehen, denen sie gewachsen waren, und sich an Aufgaben versuchen, denen nur die Allerbesten gewachsen sind. Ich
habe erst vor kurzer Zeit in offentlichen Vortragen eindringlich vor dieser Gefahr gewarnt und ausgefiihrt, daft nicht der
Aufwand an Mitteln oder der Umfang der Aufgabe, sondern ganz allein die Intensitat der Gestaltung den kiinstlerischen
Wert der typographischen Leistung bestimme. Nach dem Echo, das ich bei alien Fachleuten gefunden habe, scheint mir diese
Warnung notwendig und zeitgemafi gewesen zu sein. Da ich also in der sachlichen typographischen Gestaltung alles eher
sehe als einen Stillstand, brauche ich mir iiber die Ursachen dieses angeblichen Stillstandes nicht den Kopf zerbrechen.
Nach Zeichnung von Paul Renner
gegossen in der Bauerschen Giefjerei, Frankfurt a. M.